Als Alfred Krupp 1872 mit dem Betrieblichen Vorschlagswesen die Mitarbeiter zu deren Ideen und Verbesserungsvorschlägen befragte, war dies selbst eine Innovation. Doch Krupp und auch weitere Firmen wie der Berliner Lokomotivenhersteller A. Borsig oder der Landmaschinenbauer Lanz machten dies zur Chefsache. Im Laufe der Jahrzehnte baute sich eine ganze Bürokratie rund um Mitarbeiterideen auf und Entscheiden werden meist weit oben getroffen. Heute findet man Begriffe wie Ideenkommission, Gutachter, Realisierer, Gruppenvorschläge und Prämierungen im Umfeld des Ideenmanagements, wie der klassische Ansatz heute genannt wird. Man unterscheidet in zentrale und dezentrale, aber auch hybride Modelle, was nochmals für eine Komplexitätssteigerung sorgt.

Die Idee selbst scheint dabei auf der Stecke geblieben zu sein. Viele namhafte Unternehmens feiern sich selbst mit Kennzahlen was an Prämien, Einsparungen und Prozessverbesserungen erzielt worden ist. Wenn man aber von außen hinter die Kulissen schaut, erkennt man oft den Selbstbetrug (was die Mitarbeiter schon längst wissen). Wie viele der Firmen haben denn wirkliche Innovationen hervorgebracht? Waren es nicht oft nur kleine Prozessverbesserungen, die mündige Mitarbeiter bei genügend Freiheiten im Handeln nicht selbst erkannt und umgesetzt hätten? Jeder Hobbybastler tut das unentwegt. Automobilbauer scheinen heute besonders in der Kritik zu sein. Entscheiden die nicht im eigenen System verhafteten Gutachter über Ideen, deren Tragweite und Innovationskraft sie gar nicht abschätzen können? Elektromobilität als Beispiel. Disruptionen passen ja gar nicht in das Bild eines gelernten Prozessoptimierers. Setzen Realisierungsteams ohne die Mitwirkung der Ideengeber diese auch wirklich mit Herzblut um? Warum müssen an alle diese Personen noch Gelder fließen, wenn es dem Unternehmen und dem Arbeitsplatz nützt?

Kreative Ideen, die wirklich Neues schaffen und mit Traditionen brechen, haben in vielen Unternehmen keinen Platz. Es geht hier um Märkte, vorhandene Strukturen, Abhängigkeiten, Firmenkultur und Kontrollen. Es geht um „weiter so!“, es geht um die Angst des Managements vor Veränderungen. Ideen sind wie bei Krupp vor über 100 Jahren leider immer noch Chefsache. Zwar reden wir über Innovationszirkel oder Ideenschmieden, die vom Management gefordert werden. Aber warum zeigen dann Startups den großen Firmen den imaginären Mittelfinger? Selbst Weltkonzerne kaufen sich in Gründerszenen ein, weil das eigene Unternehmen diesen Schritt nicht mitgehen soll oder kann. Hat man Angst vor einer Infektion?

Gründer und Mitarbeiter von Startups haben ein komplett anderes Selbstverständnis. Es geht nicht um Macht, Führungspositionen oder Geld, sondern eher um die Verwirklichung von Ideen. Um den eigenen Traum von einem Produkt oder einer Dienstleistung und um den Wettkampf dieses Ziel vor anderen zu verwirklichen. Der Unterschied zu den Ursprüngen vor über 100 Jahren liegt auch in der Vernetzung der Menschen und der Einsicht, dass man alleine nicht das erreichen kann, was als Team möglich ist. Ideen müssen nicht ausformuliert sein, sondern werden durch Diskussionen und Teamarbeit gemeinsam zu einer Reife geführt. Kein Team wird sich es nehmen lassen, auch für die Umsetzung zu sorgen. Dafür bedarf es sehr vielen Freiheiten und eines komplett neuen Führungsstils. Die moderne IT hat Lösungen geschaffen solche Methoden ermöglichen und fördern.

Ideen wachsen auf einem Boden des Vertrauens und der Offenheit am besten. Habe ich ein Wissen oder eine Expertise nicht, vernetze ich mich und suche Menschen, die mir helfen können. Auch außerhalb meines aktuellen Wirkungsbereichs. Nur wenn alle Fakten auf dem Tisch liegen, jeder das Beste gibt und sich auch in schwierigen Situationen gut verstanden fühlt, kommt das maximale Ergebnis zu Tage. Wir erleben in den letzten Jahren, dass sich Büroumgebungen ändern und sich die Unternehmen mehr um das Wohlbefinden und die offene Kommunikation der Mitarbeiter kümmern. Wände zwischen den Büros werden geöffnet, Wohlfühlbereiche zum entspannten Arbeiten werden geschaffen. Kochküchen, Massagen und Fruchtkörbe sorgen für das körperliche Wohlbefinden. Und trotzdem bleibt in vielen Fällen der erhoffte Schub aus. Aus unerklärlichen Gründen sind Mitarbeiter unzufrieden, häufiger krank oder kündigen, ohne dass man dies auf dem Radar hatte.

Die Gründe sind vielfältig, aber auch oft darin zu erkennen, dass zwar in die Mitarbeiter „investiert wurde“, aber der Apparat selbst nicht verändert wurde. Welche Führungskraft möchte denn den eigenen Job obsolet machen oder vom Status Quo etwas abgeben? Waren nicht vorher die besten und verdientesten Mitarbeiter zu Führungskräften gemacht worden?  Wir müssen anerkennen, dass manchmal auch ein Rückschritt dem Fortschritt die Türen öffnet. Persönliche Befindlichkeiten werden in den meisten Fällen zu negativen Auswirkungen in der Zusammenarbeit führen und Innovationen torpedieren. Moderne Unternehmen wählen sogar die Führung. Auf Zeit. Immer wieder neu.

Im Rahmen der neuen Zielsetzung würde das vielleicht heißen „no ranks, no titles“, sondern alle arbeiten am gemeinsamen Erfolg. Alles fließt und kann und soll sich verändern. Die klassische Pyramide müsste aufgeben werden, schlanke kleine Teams mit weitreichenden Freiheitsgraden und Kooperationen lösen die verkrusteten und viel zu teuren Strukturen ab. Organigramme verschwinden. Virtuelle und räumlich verteilte Teams entstehen. Entscheidungen werden beschleunigt, Regeln abgebaut. Jedes Team erkennt für sein Umfeld, was getan werden muss. Ideen fließen, Umsetzungen erfolgen direkt mit dem Engagement des gesamten Teams und lastet nicht auf den Schultern einzelner. Misserfolge dürfen sein und werden aufgearbeitet. Dadurch entstehen Erkenntnisse und neue Chancen.

Die Führungskräfte werden sich sicherlich komplett anders aufstellen müssen. Entweder sie arbeiten wieder operativ an den Aufgaben mit (was sie ja auch früher mal taten) oder müssen im Rahmen der vorhandenen Vernetzung dafür sorgen, dass die eigenen Teams im übergreifenden Verbund gut vernetzt sind und Bürokratien verschwinden. Jetzt wäre deren Aufgabe der Support der Teams, das Wegräumen von Hindernissen und das Bestehen im Benchmark mit den anderen Teams des Unternehmens. Nicht gegeneinander, sondern im Wettbewerb des gegenseitigen Lernens und der Umsetzung der besten Lösungen.

Damit dies alles ermöglicht wird, müssen wir sicherlich unseren heutigen Alltag mal genauer beleuchten. Wo entstehen die Probleme oft?

Bezahlung. Heute haben wir meist ein hohes Festgehalt und, wenn überhaupt, einen kleinen variablen Anteil. Wir demonstrieren, wenn es dem Unternehmen gut geht, fordern mehr Geld. Aber wenn die wirtschaftliche Lage schlechter ist, macht keiner den Vorstoß freiwillig auf Anteile zu verzichten. Warum sollten wir nicht hier eine direkte Kopplung der Ergebnisse an mein Gehalt vorsehen? Umsatz oder Ergebnis des Vormonats gleich Prämienanteil des Folgemonats. Ursache, Wirkung.

Beförderung. Aha, das ist jemand befördert worden und ich nicht. Geht es um den Titel, geht es ums Geld? Lassen wir doch die Titel weg! Oder jeder sucht sich einen Titel aus. Dieser kann doch letztlich egal sein. Warum nicht? Und das Gehalt? Legen wir doch alles offen und das Team entscheidet über die Vergütung mit. Aber auch sollte der Weg in beide Richtungen gehen können. Auch die (fachliche) Führung kann auf Zeit sein. Nichts ist auf Dauer. So wird dem Team immer das beste Setup zur Verfügung gestellt.

Urlaub. Immer wieder ein Zankapfel. Wer kann wann gehen, wer bekommt wieviel Urlaub und wer muss da sein, damit die Arbeit gemacht wird. Warum geben wir nicht den Urlaub bei selbstorganisierenden Teams komplett frei? Jeder kann Urlaub nehmen wann und sooft er möchte. Voraussetzung wäre z.B. dass mindestens zwei frei wählbare Kollegen das nachweislich in Ordnung finden. Das Team hat eine Übersicht der genommenen Tage aller Mitglieder, keine weiteren Prozesse. Man kann ja als Ziel eine gewisse Zahl (z.B.30) definieren. Aber wenn einige im Team besondere Umstände haben (Kinder brauchen besondere Betreuung, Pflege der Eltern, Krisen, etc.) dann wird gemeinsam geholfen und einige arbeiten dann etwas mehr mit der Gewissheit, dass bei eigenem Bedarf das Team auch für mich selbst einspringt. Auch im Rahmen von Homeoffice muss der Urlaub ggf. anderes bewertet werden. Wo ich vorher noch einen halben Tag für einen Arzttermin als Urlaub nehmen musste, kann ich mit flexiblen Arbeitszeiten und Homeoffice andere Lösungen finden.

Ich kann mir vorstellen, dass bei diesen Dingen bei Ihnen im Kopf reflexartige Reaktionen mit dem Tenor „das geht doch nicht“ hervorgerufen werden. Warum nicht? Weil Sie das nicht kennen? Weil Sie das nicht wollen? Weil die Gesetzgebung vieles nicht zulässt? Wenn Sie selbst der Nutznießer wären, wäre das nicht ggf. doch attraktiv? Wenn Sie ein Startup gründen würden, was wäre Ihre Handlung und Planung? Bei der Antwort achten Sie bitte auf den Kontext Ihrer heutigen Position und Ihre Verwobenheit in die Praxis des Unternehmens, welchem Sie heute angehören.

Was hat das alles mit dem Thema Ideen zu tun? Nun, alles das hat Einfluss auf das Mitarbeiter-Engagement und die Beteiligung im Unternehmen. Wir können nicht von Mitarbeitern einfordern, was wir nicht bereit sind selbst zu leisten und mit zu verändern. Durch die heutigen Instrumente und Methoden verlernen wir vielfach die Menschen mitzunehmen. Es beginnt beim Vorstellungsgespräch, welches schon vollkommen archaisch erscheint und Bewerber sehr oft unter Druck setzt. Wir achten auf Kleidung, Haltung, Berufserfahrung und stellen Fragen, die man sich oft schenken kann, da sehr hypothetisch. Denn wir bemerken oft nicht den Menschen selbst und was ihn wirklich antreibt. Wir erkennen in der Andersartigkeit oder Unangepasstheit nicht die darin vorborgenen Chancen. Warum muss z.B. eine Personalabteilung maßgeblich diesen Prozess gestalten? Später im Alltag ist sie ja meist auch nicht mehr da. Warum sucht das Team nicht die passenden Mitarbeiter? Wie das geht? Diese Frage ist sicherlich nicht ernst gemeint. Fragen Sie Ihre Mitarbeiter. Die wissen das, sofern sie eine starke Bindung zu Ihrem Unternehmen haben.

Das Thema Mitarbeitergespräch erscheint auch ein Relikt aus dem letzten Jahrtausend. Statt eine Beurteilung der Mitarbeiter einmal pro Jahr zu institutionalisieren, wären dauernde Feedbacks sicherlich förderlicher. Auch mehr über die Gemütslage und die Stimmungen der Mannschaft zu erfahren, wäre hilfreich. Aber das heißt auch Verantwortung zu übernehmen, wenn es einem Teammitglied nicht gut geht. Zukünftig keine Aufgabe der nicht mehr vorhandenen Führungskraft, sondern eine Teamaufgabe. Sie werden auch hier ganz neue Erfolge spüren. Wenn Sie dies selbst treiben.

Ich selbst durchlebe mit meinem Unternehmen gerade viele dieser Phasen. Nicht alles ist rosarot.  Alles davon sind auch Ideen, die mich jedoch antreiben. Einiges ist schon umsetzt, vieles noch offen und vieles noch in meiner internen Abwägung und Entwicklung. So haben wir die Mitarbeitergespräche und halbjährlichen Zielvereinbarungen abgeschafft, die Gehaltsmodelle wurden auf die direkten Unternehmensergebnisse aufgerichtet. Die Führungsebene wurde aufgelöst. Jeder im Team weiß um seine Rolle und kennt auch die Umsatzzahlen genau und kann aktiv mitwirken die gemeinsamen Ziele zu erreichen. Wir alle sind Vertrieb, oberster Kundenberater und Entscheider in einer Person. Im neuen Büro wird es keine Räume ohne Glaswände und direkte Sichtkontakte geben. Alles auf einer Ebene, statt in verschiedenen Etagen. Das gilt für alle, auch die Geschäftsführer und Inhaber, die Teil des Teams sind und täglich in der operativen Arbeit mitarbeiten. Mitten drin.

Erhalten Sie alle Neuigkeiten über Zest

Los Geht´s!

Bringe alle Unternehmensprozesse unter einen Hut

Mehr Informationen